Der surrealistische niederländische Maler und digital artist Marcel van Luit

Inhaltsverzeichnis

Ein Open-Air-Museum im Beneluxraum

Arcadia (in Knokke, Belgien) © Marcel Van Luit

Im Jahr 2022 setzte eine digitale Kunstaustellung kulturelle und sprachliche Grenzen temporär außer Kraft. Marcel van Luits neo-surrealistische Bilder[1] waren simultan auf 55 digitalen Screens in 10 Großstädten im Beneluxraum sichtbar: Darunter befanden sich Amsterdam, Antwerpen, Utrecht, Brüssel, Rotterdam und Knokke.[2]

Insofern verwandelte er den Benelux-Raum auf doppelte Weise in ein Museum: zum einen auf physisch-konkreter Ebene der einzelnen Ausstellungsorte, und zum anderen auf der Ebene eines  produktiven Dialogs mit vergangenen Künstlern.

Fest gefügte Trennlinien werden in den Gemälden dieses niederländischen Malers häufig überschritten: Beispielsweise zeigt ein Bild einen fotorealistischen Elefantenkopf, der in einem Bündel ein schlafendes Menschenbaby trägt.

Dala © Marcel Van Luit

Ein anderes Gemälde präsentiert ein Löwengesicht, das durch bunte Gesichtsbemalung und seine Körperhaltung an eitle ,Models‘ erinnert.

Insofern verwischen seine Darstellungen abstrakte Grenzlinien wie jene zwischen Mensch und Tier, Natur und Technik, Realität und Traum. folgende Beitrag erkundet dieses im Wortsinne ,grenzenlose‘ Potenzial in van Luits Bildern: Welche kulturellen Trennlinien werden durch die Darstellungsweise hinterfragt? Welche Bedeutung hat dies in Bezug auf den Beneluxraum? Dahingehend widmet sich dieser Artikel den Bildern eines Künstlers, der das Imaginäre, nicht Alltägliche in den Mittelpunkt der Darstellung rückt.

Zwischen Kunst und Leben

Van Luits Ausstellungen führten ihn in die USA[3], nach Asien sowie in den Vatikan[4]. Nichtsdestoweniger sind Informationen zu seiner Person rar gesät. Anstelle einer detaillierten Auflistung biografischer Daten fokussiert eine Vita auf seiner Website seine Arbeitsweise in der Kunst: Dort präsentiert er sich als körperlich Schaffender, der von Musik und persönlichen Erinnerungen zu Imaginationen gebracht wird.[5] Des Weiteren nehmen auf dortigen Fotografien seine Gemälde und sein Atelier mehr Raum ein wie die Person dahinter[6], sodass der Fokus auf sein Werk fällt.

© Marcel Van Luit. Porträt des Künstlers
© Marcel Van Luit. Porträt des Künstlers

Kunst und Leben sind bei ihm also keine autonomen, voneinander losgelösten Größen. Damit einhergehend hat er in Interviewaussagen nur einige wenige, aber dafür paradigmatische Zäsuren in seinem Lebenslauf als Ausgangspunkt künstlerischen Schaffens genannt: Dies betrifft etwa die Geburt seiner Söhne, die ihn bis heute zu lebendigen Bildreisen anregen.[7] Vor allem jedoch ist er überhaupt erst durch ein bewegendes Lebensereignis zum Malen gekommen: Aufgrund einer schweren Krankheit war sein gesamter Körper temporär paralysiert.[8] In dieser Lebensphase verschaffte ihm allein die Kunst offenbar ein Gefühl von Freiheit und Beweglichkeit: Die Bewegung der Imagination überwindet immerhin körperliche Immobilität. Die digitale und fantasievolle Kunst wurde sicherlich aus diesem Grund für ihn zu einer lebhaften Kraft, die jegliche Paralyse überwindet.[9]

„Modern surrealism“

Traum und Fantasie, die sich mit der realistischen Wahrnehmung mischen und die Bilder in lebendige Bewegung versetzen, kennzeichnen noch heute seine Gemälde und Skulpturen. [10] 11] [12] Sie erlauben einen Ausblick aus der gewohnten Wahrnehmung hinaus, ein Fenster des Freiraums[13], das die Alltagswahrnehmungen surrealistisch um etwas Unbekanntes, anderes erweitert: prächtig bunte Blumen, überlebensgroße wilde Tiere oder Menschengesichter, die mit der Natur im Einklang stehen. Das Unwahrscheinliche offenbarte sich kurzzeitig als fühlbare Traumrealität.[14] Ihre Kraft entfaltet sich angesichts von Gefühlen des Bruchs, der Haltlosigkeit, was ihnen Trost spendende Wirkung zukommen und sie auf das menschliche Leben zurückwirken lässt.[15] [16]

Orin © Marcel Van Luit

In diesen Augenblicken der Imagination, so der Künstler in Interviews, seien wir alle gleich. Im surrealistischen Tagtraum diffundieren sprachliche oder kulturelle Grenzen für einen gemeinsam geteilten Augenblick. Dahingehend betonte diese Ausstellung das Gemeinsame angesichts kultureller Verschiedenheit: die Hoffnung, die Liebe, den unausgesprochenen Traum von einer Schönheit der Welt. Damit begibt man sich ins Herz von van Luits modernem Surrealismus[17]: Surrealismus meint hier nicht die Psychoanalyse à la André Breton, sondern das Überschreiten alltäglicher Wahrnehmungsmuster zugunsten eines ,traumhaften‘ Gesamtbildes. Dieser Zustand des unbewussten Imaginierens durchzieht demnach leitmotivisch van Luits Bilder: Das Traummotiv zeigt sich nicht nur mittels emotional erscheinender Tiere oder schlafender Kinder, sondern die verbindende Kraft der Bilder reflektiert sich selbst als Traum. Insofern reaktualisiert die Wirkung seiner Bilder eine surrealistische Ästhetik, die van Luit einer Interviewaussage zufolge[18] zum Nachfolger des spanischen Salvador Dalís, aber auch der belgischen Künstlers Magrittes macht. So schaffen van Luits Gemälde eine teilweise Kontinuität surrealistischer Darstellungsweisen: die Erweiterung der Realität um eine ,Sur-Realität‘, die das Realistische um das Unbekannte und Traumhafte erweitert.

Symbolistische Prägungen

Der Rückgriff auf den Surrealismus ist überdies nicht die einzige kunsthistorische Referenz in seinen Bildern. Auch der Symbolismus wird Eigenaussagen zufolge[19] u.a. durch die Präferenz für das Unbewusste[20] aufgegriffen. Damals wie heute mischen sich in unwirklichen Szenerien wilde Tiere mit schlafenden oder träumenden menschlichen Figuren.[21] Dadurch heben van Luits Bilder ebenfalls für einen Moment den Eindruck des Trennenden zwischen Mensch und Natur auf und vereinen Mensch und Umwelt in einem überzeitlich-mythischen Augenblick.

Hazel © Marcel Van Luit

Im Unterschied zum Symbolismus wendet van Luit jedoch die Grundperspektive auf die Natur ins Positive, ohne diese in den Ausdruck eines dekadenten Lebensgefühls einzubetten[22]: Er vermittelt mit fried- und farbenvollen Darstellungsmitteln das Natürliche als Raum der Schönheit und Geborgenheit.[23] Insofern rehabilitiert er die Natürlichkeit ,wilder‘ Tiergestalten, die nicht mehr ausschließlich als das Gegenteil von Zivilisation und damit bedrohlich erscheinen. Vielmehr wird die Stellung des Menschen in der Welt ausgelotet: sein Eingebettetsein in natürliche Zusammenhänge zugunsten einer Ausstellung allgegenwärtiger Buntheit und Verschiedenheit. Der Mensch selbst erscheint demnach nicht mehr als das Zentrum der einzelnen Bilder, sondern als Teil eines Gefüges, in dem Blumen, Tiere und Menschen in einer Art paradiesischem Zustand gleichwertig wirken. Vielleicht durch diese spirituelle Komponente fand van Luit im Papst einen Befürworter: Dieser erlaubte dem Künstler die Versteigerung einiger Werke im Vatikan.[24]

Die Überwindung von Grenzen in der Fantasie

Durch die häufige Aufstellung von Screens.[25][26] erweiterte er nicht zuletzt das physische, d.h. von Hand gemalte Bild um das Element der Technik.[27] Diese Art der Ausstellung geht einher mit einer künstlerischen Grundhaltung, die sich ebenfalls offen gegenüber den erweiterten Möglichkeiten durch das Maschinelle zeigt. Mit diesem Gestus integriert er ebenfalls Fotografien[28] in seine Bilder und bewirkt dadurch eine Präzision der abgebildeten Lebewesen und Dinge, die etwa seinen Tierdarstellungen zu mehr Lebendigkeit und Echtheit verhilft. Mit dieser Kombination aus lebendig-körperlichem Gestalten und technisiertem Abbilden erreicht er eine Erweiterung bildnerischer Möglichkeiten, was zu einer Intensivierung der abgebildeten Momentaufnahmen führt.

Adam © Marcel Van Luit

Insofern fügt sich diese ums Digitale erweiterte Gestaltung perfekt in eine Ästhetik, der es um das Vereinen des Unterschiedlichen bestellt ist: Der Gegensatz zwischen Mensch und Technik, zwischen Körperlichkeit und Dinglichkeit, verwischt in hoffnungs- und farbenfrohen Arrangements, die sich trotz aller Verschiedenheiten zu einem optischen Ganzen fügen.

Auf diese Weise manifestiert sich ein Eindruck von Halt und Kontinuität in einer Welt, die zunehmend von Kontroversen und Gegensätzen geprägt zu sein scheint. Van Luits Bilder wirken dieser Tendenz zur Spaltung des Gegensätzlichen entgegen und spenden Hoffnung, wenn Welten an Diskontinuitäten zu zerbrechen scheinen.

Fazit

Man könnte daher van Luits Arbeiten allgemein einen Eindruck von ,Einheit in Vielfalt‘ nachsagen, sei es auf natürlicher, sei es auf kulturell-sprachlicher Art. Differenzen, wie jene zwischen Mensch und Tier, werden weder eingeebnet noch als polare Gegensätzlichkeit inszeniert, sondern in farbenfrohen Darstellungen auf Trost spendende Weise in Szene gesetzt.

In dieser Ästhetik kommt der Wirkung der Imagination eine entscheidende Rolle zu: Die Fähigkeit zu träumen, so sieht es der Künstler, bleibe dem Menschen in jeder Situation erhalten, auch dann, wenn der Körper und die Sinne versagen sollten. Diese Auffassung beruht zu einem signifikanten Teil auf biografischen Erlebnissen: Wie van Luit mehrfach in Interviews angibt, hat eine schwere Nervenerkrankung seinen Körper temporär in paralytische Starre versetzt. Das Imaginäre fungierte in dieser Phase der Immobilität als Refugium menschlicher Beweglichkeit. Diese Geschichte erinnert nicht nur an die Biografie der mexikanischen Malerin Frida Kahlo (1907-1954), sondern sie weist zugleich der Imagination in van Luits Kunstauffassung eine existenzielle Bedeutung zu: Sie bildet einen möglicherweise letzten Fluchtpunkt der Freiheit, der dem Menschen unter keinerlei Umständen genommen werden kann, weil er eben in der Fantasie existiert. Dahingehend erweist sich van Luits Eigeninterpretation seiner Bilder als „surrealistisch“ im Wortsinne: Sie überschreiten das Reale, die pure Materialität auch des eigenen Körpers und bieten einen Ausblick auf ein ,andere‘ Realität, die trotz oder gerade wegen ihres Imaginationscharakters immer präsent ist. Insofern entstehen traumhafte Bildfenster, in denen die Hoffnung auf eine Einheit in Vielfalt am Leben gehalten wird.

Dahingehend schaffen van Luits Arbeiten ebenfalls kunsthistorische Kontinuität, denn sie übersetzen einige symbolistische und surrealistische Elemente in die Gegenwart und bezeugen damit die stets aktuelle Notwendigkeit, von einer ,anderen‘ Realität zu träumen.

Quellenangaben

Blow up media: „Largest open-air art gallery in the Netherlands and Belgium with Marcel van Luit.“ Auf: blowup-media.com, URL: https://www.blowup-media.com/largest-open-air-digital-art-gallery-of-the-benelux/ [zuletzt am 23.08.2024].

Sasha Frate: „Dreaming with Eyes Wide Open: An Inspired World With Artist Marcel van Luit.“ Auf: facethecurrent.com, URL: https://facethecurrent.com/dreaming-eyes-wide-open-inspired-world-with-artist-marcel-van-luit/ [zuletzt am 23.08.2024].

Ralph Gleis: Dekadenz und dunkle Träume : der belgische Symbolismus. München : Hirmer 2020.

Kimberly Haddad: „UNIVERSES COLLIDE by MARCEL VAN LUIT.“ Auf: basic-magazine.com, URL: https://basic-magazine.com/universes-collide-by-marcel-van-luit/ [zuletzt am 23.08.2024].

Marcel van Luit: Marcel von Luit (Homepage). URL: https://www.marcelvanluit.com. [zuletzt am 23.08.2024].

Ariel SU: „Messages of Love, hope and trust. An exclusive interview with Marcel van Luit. (Zuerst veröffentlicht in: Art Magazine #76). Auf: artmarketmag.com, URL: https://artmarketmag.com/marcel-van-luit-messages-of-hope-love-trust-an-exclusive-interview/ [zuletzt am 23.08.2024].

[1] Vgl. Marcel van Luit: Contemporary artist. Auf: Marcel von Luit (Homepage). URL: https://www.marcelvanluit.com/pages/about [zuletzt am 23.08.2024].

[2] Vgl. Blow up media: „Largest open-air art gallery in the Netherlands and Belgium with Marcel van Luit.“ Auf: blowup-media.com, URL: https://www.blowup-media.com/largest-open-air-digital-art-gallery-of-the-benelux/ [zuletzt am 23.08.2024].

[3] Vgl. Ariel SU: „Messages of Love, hope and trust. An exclucive interview with Marcel van Luit. (Zuerst veröffentlicht in: Art Magazine #76). Auf: artmarketmag.com, URL: https://artmarketmag.com/marcel-van-luit-messages-of-hope-love-trust-an-exclusive-interview/ [zuletzt am 23.08.2024].

[4] Vgl. Sasha Frate: „Dreaming with Eyes Wide Open: An Inspired World With Artist Marcel van Luit.“ Auf: facethecurrent.com, URL: https://facethecurrent.com/dreaming-eyes-wide-open-inspired-world-with-artist-marcel-van-luit/ [zuletzt am 23.08.2024].

[5] Vgl. Marcel van Luit: Contemporary artist. Auf: Marcel von Luit (Homepage). URL: https://www.marcelvanluit.com/pages/about [zuletzt am 23.08.2024].

[6] Vgl. ebd.

[7] Vgl. Ariel SU: „Messages of Love, hope and trust. An exclucive interview with Marcel van Luit. (Zuerst veröffentlicht in: Art Magazine #76). Auf: artmarketmag.com, URL: https://artmarketmag.com/marcel-van-luit-messages-of-hope-love-trust-an-exclusive-interview/ [zuletzt am 23.08.2024].

[8] Vgl. ebd.

[9] Vgl. ebd.

[10] Ebd.

[11] Vgl. Marcel van Luit: Contemporary artist. Auf: Marcel von Luit (Homepage). URL: https://www.marcelvanluit.com/pages/about [zuletzt am 23.08.2024].

[12] Vgl. Ariel SU: „Messages of Love, hope and trust. An exclucive interview with Marcel van Luit. (Zuerst veröffentlicht in: Art Magazine #76). Auf: artmarketmag.com, URL: https://artmarketmag.com/marcel-van-luit-messages-of-hope-love-trust-an-exclusive-interview/ [zuletzt am 23.08.2024].

[13] Vgl. ebd.

[14] Vgl. ebd.

[15] Vgl. ebd.

[16] Vgl. Sasha Frate: „Dreaming with Eyes Wide Open: An Inspired World With Artist Marcel van Luit.“ Auf: facethecurrent.com, URL: https://facethecurrent.com/dreaming-eyes-wide-open-inspired-world-with-artist-marcel-van-luit/ [zuletzt am 23.08.2024].

[17] Vgl. Ariel SU: „Messages of Love, hope and trust. An exclucive interview with Marcel van Luit. (Zuerst veröffentlicht in: Art Magazine #76). Auf: artmarketmag.com, URL: https://artmarketmag.com/marcel-van-luit-messages-of-hope-love-trust-an-exclusive-interview/ [zuletzt am 23.08.2024].

[18] Vgl. ebd.

[19] Marcel van Luit: Marcel von Luit (Homepage, Beschreibungstext der Homepage). URL: https://www.marcelvanluit.com. [zuletzt am 23.08.2024].

[20] Vgl. Ralph Gleis: „Zwischen Todessehnsucht und Dekadenz.“ In: ders. (Hg.): Dekadenz und dunkle Träume : der belgische Symbolismus. München : Hirmer 2020. S. 18-31, hier: S. 25.

[21] Ebd., S. 26.

[22] Ebd., S. 18.

[23] Vgl. Sasha Frate: „Dreaming with Eyes Wide Open: An Inspired World With Artist Marcel van Luit.“ Auf: facethecurrent.com, URL: https://facethecurrent.com/dreaming-eyes-wide-open-inspired-world-with-artist-marcel-van-luit/ [zuletzt am 23.08.2024].

[24] Vgl. ebd.

[25] Vgl. Ariel SU: „Messages of Love, hope and trust. An exclucive interview with Marcel van Luit. (Zuerst veröffentlicht in: Art Magazine #76). Auf: artmarketmag.com, URL: https://artmarketmag.com/marcel-van-luit-messages-of-hope-love-trust-an-exclusive-interview/ [zuletzt am 23.08.2024].

[26] Vgl. Marcel van Luit: Digital framed art pieces. Auf: Marcel von Luit (Homepage). URL: https://www.marcelvanluit.com/pages/digital-art [zuletzt am 23.08.2024].

[27] Vgl. Ariel SU: „Messages of Love, hope and trust. An exclucive interview with Marcel van Luit. (Zuerst veröffentlicht in: Art Magazine #76). Auf: artmarketmag.com, URL: https://artmarketmag.com/marcel-van-luit-messages-of-hope-love-trust-an-exclusive-interview/ [zuletzt am 23.08.2024].

[28] Vgl. ebd.

Picture of Sabrina Jordt (Autorin) & Saskia Vandenbussche (Betreuung)

Sabrina Jordt (Autorin) & Saskia Vandenbussche (Betreuung)

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