Die niederländische Nationalhymne: Het Wilhelmus

Inhaltsverzeichnis

Dieser Artikel beschreibt die Genese der niederländischen Nationalhymne als Zeichen eines Unabhängigkeitsstrebens gegenüber der Spanischen Krone im 16. und 17. Jahrhundert. Anhand von Textanalysen der niederländischsprachigen Originalfassung wird gezeigt, dass nicht nur das Freiheits- und Autonomiebestreben sondern auch religiöse Glaubensinhalte wichtige Faktoren der Staatsgründung des Königreichs der Niederlande waren.

Die Geschichte der Nationalhymne als Zeichen niederländischer Selbstbehauptung

Wilhelmus van Nassouwe Ben ik, van Duitsen bloed, Den vaderland getrouwe Blijf ik tot in den dood. Een Prinse van Oranje Ben ik, vrij onverveerd, Den Koning van Hispanje Heb ik altijd geëerd.  Mijn schild ende betrouwen Zijt Gij, o God mijn Heer, Op U zo wil ik bouwen, Verlaat mij nimmermeer. Dat ik doch vroom mag blijven, Uw dienaar t’aller stond, De tirannie verdrijven Die mij mijn hart doorwondt.[1]Wilhelm von Nassau Bin ich, von deutschem Blut, Dem Vaterland getreu Bleib’ ich bis in den Tod. Ein Prinz von Oranien Bin ich, frei und furchtlos, Den König von Spanien Hab’ ich allzeit geehrt.  Mein Schild und mein Vertrauen Seid Ihr, oh Gott mein Herr, Auf Euch so will ich bauen, Verlasst mich nimmermehr. Dass ich doch fromm mag bleiben, Euer Diener zu jeder Stund’, Die Tyrannei vertreiben Die mir mein Herz verwund’t.[2]

Diese Strophen gehören zu der ältesten Nationalhymne der Welt, sofern man Angaben des niederländischen Königshauses Glauben schenkt: „Die erste bekannte Erwähnung des Textes stammt aus dem Jahr 1572. Dieser Text wird im Allgemeinen Marnix van Sint Aldegonde zugeschrieben, dem Sekretär von Willem van Oranje. Adriaen Valerius legte 1626 in seinem Band ,Niederländischer Gedenk-Klang‘ die heutige Melodie fest.“[3] ( Hier der niederländische Originaltext: „De eerste bekende vermelding van de tekst stamt uit 1572. Deze tekst wordt in het algemeen toegeschreven aan Marnix van Sint Aldegonde, de secretaris van Willem van Oranje. Adriaen Valerius legde in 1626 de huidige melodie van het Wilhelmus vast in zijn bundel ‚Nederlandtsche Gedenck-clanck‘.“[4])  In der Tat verweisen auch weitere Quellen auf die beiden Namen:

„M wahrscheinlich Adriaan Valéry van Veere (1575 – 1625)

T wahrscheinlich Philips van Marnix, Heer van Sant Aldegonde (1540 – 1598)“.[5]

Wie freilich bereits der Hinweis „wahrscheinlich“ andeutet, sind diese Thesen nicht zweifelsfrei belegt. In einem Informationsartikel zu der niederländischen Literaturgeschichte der Taalunie ist von einem anonymen Verfasser die Rede, welcher seine Autorschaft aus Gründen des Selbstschutzes verschleiert hat[6]: „Waarschijnlijk wilde de auteur bewust anoniem blijven om niet de Spaanse woede over zich af te roepen. De calvinistische edelman Philips van Marnix van Sint-Aldegonde werd door velen als de dichter van het Wilhelmus gezien.“[7] – „Wahrscheinlich wollte der Autor bewusst anonym bleiben, um nicht die Wut der Spanier auf sich zu ziehen. Der calvinistische Edelmann Philips van Marnix van Sint-Aldegonde wird von vielen als Dichter von „Het Wilhelmus“ gesehen.“[8] 

Portret van Philips van Marnix, heer van Sint-Aldegonde; © Rijksmuseum Amsterdam

Die opaken Einschätzungen mögen zum einen in unterschiedlichen Quellenlagen begründet liegen, zum anderen in komplizierten historischen Entstehungsbedingungen der Hymne: Im 16. und 17. Jahrhundert lösten sich die Niederlande bekanntlich von der Herrschaft der Spanischen Krone ab und benötigten zu diesem Zweck eine eigenständige Nationalhymne. Zu der damaligen Zeit konnte aber von einer „Nation“ im heute geläufigen Sinne genau genommen nicht die Rede sein, da dieser Begriff erst mit der Französischen Revolution an klaren Konturen gewann.

Wie also lässt sich diese auffallend frühe Herausbildung einer Nationalhymne erklären? Es handelt sich, so die These dieses Artikels, weniger um eine „Nationalhymne“ im heutigen Sinne, denn um eine Hymne auf die Selbstbehauptung gegenüber dem damaligen spanischen König. Im Folgenden wird dieser Hypothese mithilfe von historischen Informationen nachgegangen.

Heutige Repräsentation des niederländischen Volkes

Zunächst wird die Relevanz der niederländischen Nationalhymne im zeitgenössischen Kontext in aller Kürze skizziert. Es handelt sich, ganz im Gegensatz zu etwa der belgischen Nationalhymne, um ein offiziell festgelegtes Symbol zur Wahrung einer gemeinschaftlichen Identität, denn am 10.05.1932 wurde „Het Wilhelmus“ zur Hymne der Niederländer erklärt.[9] Dies ist dahingehend erwähnenswert, da noch im 18. Jahrhundert „Het Wilhelmus“ vornehmlich das Königshaus Oranien-Nassau repräsentierte.[10] 

Wilhelmus van Nassouwe, Willem I (1533-84), prins van Oranje, Willem de Zwijger Adriaen Thomasz, ca.1579); © Rijksmuseum Amsterdam

Heutzutage hingegen benennt die niederländische Krone auf seiner offiziellen Internetseite die Hymne schlicht als „Volkslied“[11], sodass der Akzent nunmehr auf einer demokratischen und nicht auf einer monarchischen Identität liegt. Demnach manifestieren sich in einem sich wandelnden öffentlichen Umgang mit dieser Hymne im Laufe der Zeit Spuren variabler historischer Kontexte.

Seine Geschichte bleibt dem Lied dennoch notwendigerweise eingeschrieben, wie auch ein Katalog möglicher offizieller Anlässe zeigt, in welchen ein Spielen der Hymne geboten erscheint: Noch immer begleitet  „Het Wilhelmus“ Abreisen und Ankünfte des Königs, internationale Anlässe und diplomatische Veranstaltungen.[12] Gesungen und gespielt werden in jedwedem Kontext jedoch lediglich die erste und sechste Strophe, wobei zudem der im 16. Jahrhundert entstandene Text an das heutige Niederländisch angepasst wurde.[13] Tatsächlich umfasst der originale Gesamttext 15 Strophen. Diese Version birgt die meisten Spuren ihrer komplizierten Entstehungsbedingungen in sich.

Die Originalfassung von „Het Wilhelmus“: Auflehnung und Autonomie

Das Lied erzählt in der 1. Strophe von einer Loslösung des niederländischen Prinzen Wilhelm von einer Herrschaft des spanischen Königs, ohne diesem gegenüber jeglichen Respekt vermissen zu lassen: „Den Koning van Hispanje/ Heb ik altijd geëerd.“[14]  („Den König von Spanien/ hab ich allzeit geehrt.“[15]) Formal mag diese Ehrbekundung von einer friedlichen Einigung künden, doch weitere Strophen bezeugen das Gegenteil:

Wilhelmus van Nassouwe 5. Edel en Hooch gheboren
 Van Keyserlicken stam:
 Een Vorst des Rijcks vercoren,
 Als een vroom Christen-man,
 Voor Godes Woort ghepreesen,
 Heb ick vrij onversaecht,
 Als een helt zonder vreesen
 Mijn edel bloet gewaecht. 6. Mijn schilt ende betrouwen
 Zijt ghy, O Godt, mijn Heer.
 Op U soo wil ick bouwen,
 Verlaet my nimmermeer;
 Dat ick doch vroom mag blijven
 U dienaer t’aller stond
 Die tyranny verdrijven,
 Die my mijn hert doorwondt. 7. Val al die my beswaren,
 End mijn vervolghers zijn,
 Mijn Godt wilt doch bewaren
 Den trouwen dienaer dijn:
 Dat sy my niet verasschen
 In haeren boosen moet,
 Haer handen niet en wasschen
 In mijn onschuldich bloet.[16]
William of Nassau (englische Über.) 5. I, nobly born, descended
 From an imperial stock.
 An empire’s prince, defended
 (Braving the battle’s shock
 Heroically and fearless
 As pious Christian ought)
 With my life’s blood the peerless
 Gospel of God our Lord. 6. A shield and my reliance,
 O God, Thou ever wert.
 I’ll trust unto Thy guidance.
 O leave me not ungirt.
 That I may stay a pious
 Servant of Thine for aye
 And drive the plagues that try us
 And tyranny away. 7. My God, I pray thee, save me
 From all who do pursue
 And threaten to enslave me,
 Thy trusted servant true.
 O Father, do not sanction
 Their wicked, foul design,
 Don’t let them wash their hands in
 This guiltless blood of mine. [17]  

Das „Schild“ symbolisiert eindeutig eine defensive Haltung in einem kriegerischen Kontext. Es kann deshalb von einer Situation der Unterlegenheit ausgegangen werden, in welcher sich die Niederländer gegenüber dem Spanischen Königshaus befanden. Etwas leiser, d.h. zwischen den Zeilen, klingen fernerhin Gefühle der Ohnmacht an: „Dat ick doch vroom mag blijven/ U dienaer t’aller stond/ Die tyranny verdrijven/ Die my mijn hert doorwondt.”[18] (“Dass ich doch fromm mag bleiben/ und als dein Diener allzeit steh’/ die Tyrannei kann vertreiben/ die mein Herz versehrt.”[19]) Gott als ,Höchste Instanz’ wird vornehmlich in einer Situation höchster Bedrohung und Verzweiflung angerufen. Dementsprechend hallen sich zwischen den Zeilen massive Ängste nach, welche nur von einer Vermitteltheit der gereimten lyrischen Sprache ästhetisch abgemildet werden:  “Val al die my beswaren,/End mijn vervolghers zijn,/Mijn Godt wilt doch bewaren/Den trouwen dienaer dijn”[20] (“Stürz alle die mich plagen/ und meine Verfolger seien/mein Gott will doch bewahren/den treuen Diener dein.”[21]).

Außerdem unterstreicht eine Bezeichnung des Prinzen als unschuldig ein christliches Selbstverständnis, heißt es doch in den letzten Zeilen der 7. Strophe: „Dat sy my niet verasschen/In haeren boosen moet,/Haer handen niet en wasschen/In mijn onschuldich bloet.”[22] (“Dass sie mich nicht überraschen/in ihrem bösen Mut/ihre Hände nicht waschen/ in meinem unschuldig Blut.”[23]) Wenig ist wohl so deutlich christlich konnotiert wie das unschuldige Blut, erinnert es doch an die Kreuzigungsgeschichte. Das Waschen der Hände in dem Blut der Niederländer weist deshalb auf eine schuldhafte Selbstüberhöhung des spanischen Königs hin: Dieser würde bei einem Sieg als legitimer König dastehen und dadurch einen Status als von Gott berufener Monarch erhalten. Ein Sieg würde in diesem Sinne seine vom Krieg mit Blut befleckten Hände bzw. seinen Namen also in den Augen seiner Untertanen ,reinwaschen’. Sollten allerdings die Niederländer gewinnen, muss dies im Rahmen einer religiösen Weltanschauung ebenfalls von Gott gewollt gewesen sein. Demgemäß erzählen diese Zeilen zugleich von einer Herrschaftslogik im europäischen Raum, welche mit religiösen Glaubensinhalten eng verwoben war.

Besonders eindeutig zeigt ein Zitat in der 8. Strophe diese Verortung des Königreichs der Niederlande in einem religiösen Kontext:

Wilhelmus van Nassouwe 8. Als David moeste vluchten
 Voor Saul den tyran:
 Soo heb ick moeten suchten
 Met menich edelman:
 Maer Godt heeft hem verheven,
 Verlost uit alder noot,Een Coninckrijck ghegheven
 In Israël, seer groot. [24]
William of Nassau (englische Übersetzung) 8. O David, thou soughtest shelter
 From King Saul’s tyranny.
 Even so I fled this welter
 And many a lord with me.
 But God the Lord did save him
 From exile and its hellAnd, in His mercy, gave him
 A realm in Israel. [25]

Das Unterlegenheitsgefühl der Niederländer gegenüber dem spanischen König wird verglichen mit jenem Davids, welcher dem schwer bewaffneten Goliat in seiner Verletzlichkeit in jedweder Hinsicht ausgeliefert zu sein scheint. Dieser nicht nur in der christlichen Religion bedeutsamen Erzählung zufolge wird er, wie gemeinhin bekannt, mithilfe göttlichen Beistands aus seiner ausweglosen Lage befreit und erhält als Belohnung für seinen Glauben das Reich Israel: „Maer Godt heeft hem verheven,/Verlost uit alder noot,/Een Coninckrijck ghegheven/In Israël, seer groot.[26] („Aber Gott hat ihm erhoben/Erlöst in all der Not/Ein Königreich gegeben/in Israel, sehr groß.“[27]) Damit erhebt „Hel Wilhelmus“ die Niederlande auf eine Stufe mit Israel. Das Erlösungsmotiv, welches hier hineinspielt, ist im niederländischen Original weitaus klarer formuliert als in der zitierten englischen Fassung: „verlost”[28] bezieht sich wortwörtlich auf eine Erlösung aus der Not. 

Wenn auch entsprechende Bibelstellen nicht direkt zitiert werden, erinnert nicht zuletzt ein Wunsch auf eine Befreiung von Tyrannei an die Erzählung vom Exodus bzw. vom Auszug aus Ägypten, der bis heute als paradigmatisches Ur-Bild für jedwede Befreiung eines unterdrückten Volkes einsteht. Diese Konnotation erklärt womöglich die etwas freie englischsprachige Übersetzung der ersten Zeilen der 7. Strophe in der vom Niederländischen Königshaus zitierten Fassung: „My God, I pray thee, save me/ From all who do pursue/And threaten to enslave me.” [29]  Dies deutet auf einen Zustand der Sklaverei hin, dem der niederländische Prinz mit göttlicher Hilfe zu entfliehen intendiert. Selbstverständlich könnten auch simple philologische Überlegungen Abweichungen vom Original begünstigt haben, da allzu exakte Übertragungen eine partielle Auflösung von Klang und Reim nach sich gezogen hätten.

Wie dem auch sei: In jedem Fall zeigt sich im Originaltext von „Het Wilhelmus“ auf mehreren Ebenen eine Verortung des Königreichs der Niederlande im Glauben und folglich wird ein aus der Taufe zu hebender, freier Staat durch Erinnerungen an religiöse Inhalte begründet und legitimiert.

Het Wilhelmus van Nassouwe uit het Nieu geusen liet boeck,© Rijksmuseum Amsterdam

Autonomiestreben im europäischen Raum: Die Geschichte der Melodie

Zu einem auf Autonomie insistierenden Gestus gehört gleichermaßen eine gemeinsame Melodie. Literaturwissenschaftlichen Informationen aus dem bereits zitierten Artikel der Taalunie zufolge dichtete man um 1570 eine frühe Version von „Het Wilhelmus“ auf die Melodie eines französisch-katholischen Spottliedes mit dem Titel „Chartres“, das zur Stärkung der eigenen katholischen Position französische Protestanten im Zuge der Konfessionskriege herabsetzte.[30] Demnach würde eine erste Textfassung aus der Feder eines protestantischen Autors stammen, der ,anonymus‘ bleibt.[31] Diese Wahl der Melodie bedeutete dem genannten Aufsatz zufolge eine Spitze gegen die spanischen Krone.[32]  Eine wahrscheinliche Erklärung hierfür ergibt sich aus dem historischen Kontext: Von einem Streben der Spanischen Krone um 1600 nach territorialer und wirtschaftlicher Ausdehnung künden noch heute die Säulen des Herakles im Wappen bzw. auf der Flagge Spaniens. Die darauf abgebildeten mythischen Säulen an der Meerenge von Gibraltar markieren nach griechisch-antiker Auffassung das Ende der vom Menschen bewohnbaren Welt.[33] Der Spruch „plus ultra“ im Spanischen Wappen beteuert einen Wunsch, das Wasser der Meerenge zu überqueren und seinen Machtbereich zu transzendieren. Im Kontext dieses Großmachtstrebens musste das Singen eines französischen Spottlieds als Provokation aufgefasst werden, da das ebenfalls absolutistische Frankreich eine Konkurrenz bei einem Streben nach hegemonialer Macht nicht nur im europäischen Raum darstellte.

Paradoxalerweise wird heutzutage nicht mehr jene Version gesungen, welche sich einer Melodie aus den Französischen Konfessionskriegen bediente. Das frühste bekannte Zeugnis einer autonomen Melodie stammt vielmehr aus dem Jahr 1626: „Tegenwoordig wordt het Wilhelmus gezongen op een iets andere melodie, waarvan de noten in 1626 afgedrukt werden in Adriaen Valerius’ NederlandtscheGedenck-clanck.“[34] – „Gegenwärtig wird der Wilhelmusmit einer anderen Melodie gesungen, deren Noten 1626 in Adriaen Valerius’ NederlandtscheGedenck-clanckabgedruckt worden sind.“[35]Dies ist das Lied, welches als niederländische Nationalhymne in dies Geschichtsbücher Eingang gefunden hat. Deshalb kann von einer eigenständigen Hymne der Niederlande ab ca. 1626 die Rede sein.

Da der Text der Hymne, wie im Laufe dieses Artikels demonstriert, für eine Notwendigkeit der Selbstbehauptung eintritt und von einer scheinbaren ausweglosen Bedrohung durch den damaligen spanischen König erzählt, musste das Königreich der Niederlande im europäischen Raum nach seiner Befreiung als legitim erscheinen und Akzeptanz erhalten. Ein kurzer Rückgriff auf ein Beispiel für eine Akzeptanz der Niederlande im europäischen Raum unterstreicht final diese These.

Beispiel internationaler Akzeptanz: „Het Wilhelmus“in Deutschland im 19. Jahrhundert

In „der Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung“ schreibt Friedrich Schiller zu Beginn der Einleitung: 

Eine der merkwürdigsten Staatsbegebenheiten, die das sechzehnte Jahrhundert zum glänzendsten der Welt gemacht haben, dünkt mir die Gründung der niederländischen Freyheit. Wenn die schimmernden Thaten der Ruhmsucht und einer verderblichen Herrschbegierde auf unsere Bewunderung Anspruch machen, wie viel mehr eine Begebenheit, wo die bedrängte Menschheit um ihre edelsten Rechte ringt […] und die Hülfsmittel entschlossener Verzweiflung über die furchtbaren Künste der Tyrannen in ungleichem Wettkampf liegen.[36]

Im Kontext der Zeit, der Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress 1815 erscheinen die Niederländer als edle Freiheitskämpfer: So schreibt Schiller von „Widerstand“[37], „Anmaßungen der Fürstengewalt[38]“, einem „Despoten“[39] und einer „großen Revolution“[40]. Ebenfalls bezeichnet er die erfolgreiche Trennung des Landes von der spanischen Krone als „Denkmal bürgerlicher Stärke“.[41]   Da solche Attribute nach 1789 gemeinhin Frankreich zuerkannt wurden, manifestiert sich zwischen den Zeilen der implizite Gedanke, es habe ähnliche revolutionäre Leistungen der Niederländer einige Jahrhunderte zuvor gegeben. Damit erkennt Schiller den Niederländern einen Status als würdevolle Freiheitskämpfer zu, an denen sich Leser*innen ein Beispiel nehmen können.

Wenn auch Schiller nicht der Status eines objektiven Historikers zukommt, belegt ein solcher Text von einem der einflussreichsten deutschsprachigen Poeten eine wie selbstverständlich erscheinende Akzeptanz des Königreichs der Niederlande im deutschsprachigen Raum. Dasselbe gilt für die ohne weitere Umschweife und Umstände geäußerte Assoziation des niederländischen Volkes mit Begriffen wie „Freiheit“ und „Widerstand“. In diesem Sinne hat die niederländische Nationalhymne nichts von ihrer Aktualität verloren: Es lässt sich konstatieren, dass „Het Wilhelmus“ nicht nur die erste so genannte ,Nationalhymne‘ bildete, sondern insbesondere das erste Lied, welches für eine menschenwürdige politische Ordnung eintrat.

Anhang: das vollständige Lied von „Willem van Nassov“

Bei dem Text handelt es um ein Akrostichon, d.h. die Anfangslettern aller 15 Strophen bilden gemeinsam den Namen des besungenen Prinzen, Willem van Nassov“.[42] Dies würde deutlich ins Auge fallen, wenn der jeweilige erste Buchstabe nach Art einer mittelalterlichen Handschrift vergrößert und künstlerisch verziert abgebildet würde:

Wilhelmus van NassouweBen ick van Duytschen Bloedt,
 Den Vaderland ghetrouwe
 Blijf ick tot inden doet;
 Een Prince van Orangien
 Ben ick vry onverveert.
 Den Coninck van Hispangien.
 Heb ick altijt gheeert. In Godes vrees te leven
 Heb ick altijt betracht,
 Daerom ben ick verdreven
 Om Land, om Luyd ghebracht:
 Maer Godt sal my regeren
 Als een goet Instrument,
 Dat ick sal wederkeeren
 In mijnen Regiment. Lijdt U, mijn Ondersaten,
 Die oprecht zijn van aert,
 Godt sal u niet verlaten
 Al zijt ghy nu beswaert:
 Die vroom begheert te leven,
 Bidt Godt nacht ende dach.
 Dat Hy my cracht wil gheven
 Dat ick u helpen mach. Lijf ende goed al te samen
 Heb ick u niet verschoont,
 Mijn Broeders, hooch van Namen,
 Hebbent u oock vertoont:
 Graef Adolff is ghebleven,
 In Vrieslandt in den Slach,
 Sijn siel int eewich leven
 Verwacht den jonghsten dach. Edel en Hooch gheboren
 Van Keyserlicken stam:
 Een Vorst des Rijcks vercoren,
 Als een vroom Christen-man,
 Voor Godes Woort ghepreesen,
 Heb ick vrij onversaecht,
 Als een helt zonder vreesen
 Mijn edel bloet gewaecht. Mijn schilt ende betrouwen
 Zijt ghy, O Godt, mijn Heer.
 Op U soo wil ick bouwen,
 Verlaet my nimmermeer;
 Dat ick doch vroom mag blijven
 U dienaer t’aller stond
 Die tyranny verdrijven,
 Die my mijn hert doorwondt. Val al die my beswaren,
 End mijn vervolghers zijn,
 Mijn Godt wilt doch bewaren
 Den trouwen dienaer dijn:
 Dat sy my niet verasschen
 In haeren boosen moet,
 Haer handen niet en wasschen
 In mijn onschuldich bloet. Als David moeste vluchten
 Voor Saul den tyran:
 Soo heb ick moeten suchten
 Met menich edelman:
 Maer Godt heeft hem verheven,
 Verlost uit alder noot,
 Een Coninckrijck ghegheven
 In Israël, seer groot. Na tsuer sal ick ontfanghen
 Van Godt, mijn Heer, dat soet,
 Daer na so doet verlanghen
 Mijn vorstelick ghemoet,
 Dat is, dat ick mag sterven
 Met eeren, in dat velt,
 Een eeuwich rijk verwerven
 Als een ghetrouwe helt. Niets doet my meer erbarmen
 In mijnen wederspoet,
 Dan dat men siet verarmen
 Des Conincks landen goet,
 Dat ud de Spaengiaerts crencken,
 O edel Neerlandt soet,
 Als ick daeraen ghedencke,
 Mijn edel hert dat bloet. Als een Prins opgheseten
 Met mijnes heyres cracht,
 Van den tyran vermeten
 Heb ick den slach verwacht,
 Die, by Maestricht begraven,
 Bevreesde mijn ghewelt;
 Mijn ruyters sach men draven
 Seer moedich door dat velt. Soo het den wil des Heeren
 Op die tijt had gheweest,
 Had ick geern willen keeren
 Van u dit swaer tempeest:
 Maer de Heer van hier boven
 Die alle dinck regeert,
 Die men altijt moet loven,
 En heeftet niet begeert. Seer christlick was ghedreven
 Mijn princelick ghemoet,
 Stantvastich is ghebleven
 Mijn hert in teghenspoet,
 Den Heer heb ick ghebeden
 Van mijnes herten gront,
 Dat Hy mijn saeck wil reden,
 Mijn onschult doen oircont. Oorlof mijn arme schapen,
 Die zijt in grooten noot.
 U Herder sal niet slapen,
 Al zijt ghy nu verstroit:
 Tot Godt wilt u begheven,
 Sijn heylsaem woort neemt aen,
 Als vrome Christen leven,
 Tsal hier haest zijn ghedaen. Voor Godt wil ick belijden
 End sijner grooter macht,
 Dat ick tot gheenen tijden
 Den Coninck heb veracht:
 Dan dat ick Godt den Heere,
 Der hoochster Majesteyt,
 Heb moeten obedieren,
 In der gherechticheyt.[43]
William of Nassau, scionOf a Dutch and ancient line,
 I dedicate undying
 Faith to this land of mine.
 A prince I am, undaunted,
 Of Orange, ever free,
 To the king of Spain I’ve granted
 A lifelong loyalty. I ‚ve ever tried to live in
 The fear of God’s command
 And therefore I’ve been driven
 From people, home, and land,
 But God, I trust, will rate me
 His willing instrument
 And one day reinstate me
 Into my government. Let no despair betray you,
 My subjects true and good.
 The Lord will surely stay you
 Though now you are pursued.
 He who would live devoutly
 Must pray God day and night
 To throw His power about me
 As champion of your right. Life and my all for others,
 I sacrificed, for you!
 And my illustrious brothers
 Proved their devotion too.
 Count Adolf, more’s the pity,
 Fell in the Frisian fray,
 And in the eternal city
 Awaits the judgement day. I, nobly born, descended
 From an imperial stock.
 An empire’s prince, defended
 (Braving the battle’s shock
 Heroically and fearless
 As pious Christian ought)
 With my life’s blood the peerless
 Gospel of God our Lord. A shield and my reliance,
 O God, Thou ever wert.
 I’ll trust unto Thy guidance.
 O leave me not ungirt.
 That I may stay a pious
 Servant of Thine for aye
 And drive the plagues that try us
 And tyranny away. My God, I pray thee, save me
 From all who do pursue
 And threaten to enslave me,
 Thy trusted servant true.
 O Father, do not sanction
 Their wicked, foul design,
 Don’t let them wash their hands in
 This guiltless blood of mine. O David, thou soughtest shelter
 From King Saul’s tyranny.
 Even so I fled this welter
 And many a lord with me.
 But God the Lord did save him
 From exile and its hell
 And, in His mercy, gave him
 A realm in Israel. Fear not ‚t will rain sans ceasing
 The clouds are bound to part.
 I bide that sight so pleasing
 Unto my princely heart,
 Which is that I with honour
 Encounter death in war,
 And meet in heaven my Donor,
 His faithful warrior. Nothing so moves my pity
 As seeing through these lands,
 Field, village, town and city
 Pillaged by roving hands.
 O that the Spaniards rape thee,
 My Netherlands so sweet,
 The thought of that does grip me
 Causing my heart to bleed. Astride on steed of mettle
 I’ve waited with my host
 The tyrant’s call to battle,
 Who durst not do his boast.
 For, near Maastricht ensconced,
 He feared the force I wield.
 My horsemen saw one bounce it
 Bravely across the field. Surely, if God had willed it,
 When that fierce tempest blew,
 My power would have stilled it,
 Or turned its blast from you.
 But He who dwells in heaven,
 Whence all our blessings flow,
 For which aye praise be given,
 Did not desire it so. Steadfast my heart remaineth
 In my adversity
 My princely courage straineth
 All nerves to live and be.
 I’ve prayed the Lord my Master
 With fervid heart and tense
 To save me from disaster
 And prove my innocence. Alas! my flock. To sever
 Is hard on us. Farewell.
 Your Shepherd wakes, wherever
 Dispersed you may dwell,
 Pray God that He may ease you.
 His gospel be your cure.
 Walk in the steps of Jesu
 This life will not endure. Unto the Lord His power
 I do confession make
 That ne’er at any hour
 Ill of the king I spake.
 But unto God, the greatest
 Of Majesties I owe
 Obedience first and latest,
 For Justice wills it so.[44] 

Quellen

SCHURDEL, Harry D.: „Die Nationalhymnen der 28 EU-Mitgliedstaaten,“ in: bpb.de (01.04.2014), URL: https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/14-04-24%204860b_hymnenplakat_online_din-a4_140422_k4%20%282%29.pdf (15.03.2025).

HET KONINKLIJK HUIS, „Volkslied (Wilhelmus)“, in: koninklijkhuis.nl, URL: https://www.koninklijkhuis.nl/onderwerpen/volkslied#:~:text=Het%20Wilhelmus%20van%20Nassouwe%20werd,gevolgd%20door%20het%20zesde%20couplet, (15.03.2025).

ROYAL HOUSE OF NETHERLANDS, „National anthem. Music, lyrics and customs“, in: royal-house.nl, URL: https://www.royal-house.nl/topics/national-anthem/music-lyrics-and-customs (15.03.2025).

GEMERT, Lia van u.a., „Wilhelmus. Anoniem, ca. 1570“, in: literatuurgeschiedenis.org, URL: https://www.literatuurgeschiedenis.org/teksten/wilhelmus (15.03.2025).

SCHILLER, Friedrich, Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung, Carlsruhe, 1815.

GOLDBERG, Maren u.a., „pillars of heracles“, in: britannica.com(14.04.2009), URL: https://www.britannica.com/place/Pillars-of-Heracles (28.03.2025).


[1] SCHURDEL, Harry D.: „Die Nationalhymnen der 28 EU-Mitgliedstaaten,“ in: bpb.de (01.04.2014), URL: https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/14-04-24%204860b_hymnenplakat_online_din-a4_140422_k4%20%282%29.pdf (15.03.2025). S. 83.

[2] Ebd.

[3] HET KONINKLIJK HUIS, „Volkslied (Wilhelmus)“, in: koninklijkhuis.nl, URL: https://www.koninklijkhuis.nl/onderwerpen/volkslied#:~:text=Het%20Wilhelmus%20van%20Nassouwe%20werd,gevolgd%20door%20het%20zesde%20couplet, (15.03.2025), Übers. von Sabrina Jordt.

[4] Ebd.

[5] SCHURDEL, Harry D.: „Die Nationalhymnen der 28 EU-Mitgliedstaaten,“ in: bpb.de (01.04.2014), URL: https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/14-04-24%204860b_hymnenplakat_online_din-a4_140422_k4%20%282%29.pdf (15.03.2025). S. 83.

[6] Vgl. GEMERT, Lia van u.a., „Wilhelmus. Anoniem, ca. 1570“, in: literatuurgeschiedenis.org, URL: https://www.literatuurgeschiedenis.org/teksten/wilhelmus (15.03.2025).

[7] Ebd.

[8] Übersetzung von Sabrina Jordt.

[9] Vgl. HET KONINKLIJK HUIS, „Volkslied (Wilhelmus)“, in: koninklijkhuis.nl, URL: https://www.koninklijkhuis.nl/onderwerpen/volkslied#:~:text=Het%20Wilhelmus%20van%20Nassouwe%20werd,gevolgd%20door%20het%20zesde%20couplet, (15.03.2025).

[10] Vgl. ROYAL HOUSE OF NETHERLANDS, „National anthem. Music, lyrics and customs“, in: royal-house.nl, URL: https://www.royal-house.nl/topics/national-anthem/music-lyrics-and-customs (15.03.2025).

[11] Ebd.

[12] Vgl. ebd.

[13] Vgl. GEMERT, Lia van u.a., „Wilhelmus. Anoniem, ca. 1570“, in: literatuurgeschiedenis.org, URL: https://www.literatuurgeschiedenis.org/teksten/wilhelmus (15.03.2025).

[14] ROYAL HOUSE OF NETHERLANDS, „National anthem. Music, lyrics and customs“, in: royal-house.nl, URL: https://www.royal-house.nl/topics/national-anthem/music-lyrics-and-customs (15.03.2025).

[15] Übersetzung von Sabrina Jordt.

[16] ROYAL HOUSE OF NETHERLANDS, „National anthem. Music, lyrics and customs“, in: royal-house.nl, URL: https://www.royal-house.nl/topics/national-anthem/music-lyrics-and-customs (15.03.2025).

[17] Ebd.

[18] Ebd.

[19] Übersetzung von Sabrina Jordt.

[20] ROYAL HOUSE OF NETHERLANDS, „National anthem. Music, lyrics and customs“, in: royal-house.nl, URL: https://www.royal-house.nl/topics/national-anthem/music-lyrics-and-customs (15.03.2025).

[21] Übersetzung von Sabrina Jordt. Das „beswaren”/”bezwaren” für “beschwerden, belasten” und “das Wort “zijn” wurden aus reimlichen Gründen angepasst und mit “plagen” bzw. “seien” übersetzt, um einen Eindruck vom Klang des Originals zu geben.

[22] ROYAL HOUSE OF NETHERLANDS, „National anthem. Music, lyrics and customs“, in: royal-house.nl, URL: https://www.royal-house.nl/topics/national-anthem/music-lyrics-and-customs (15.03.2025).

[23] Übersetzung von Sabrina Jordt.

[24] Ebd.

[25] Ebd.

[26] Ebd.

[27] Übersetzung von Sabrina Jordt.

[28] ROYAL HOUSE OF NETHERLANDS, „National anthem. Music, lyrics and customs“, in: royal-house.nl, URL: https://www.royal-house.nl/topics/national-anthem/music-lyrics-and-customs (15.03.2025).

[29] Ebd.

[30] Vgl. GEMERT, Lia van u.a., „Wilhelmus. Anoniem, ca. 1570“, in: literatuurgeschiedenis.org, URL: https://www.literatuurgeschiedenis.org/teksten/wilhelmus (15.03.2025).

[31] Vgl. ebd.

[32] Vgl. ebd.

[33] Vgl. GOLDBERG, Maren u.a., „pillars of heracles“, in: britannica.com (14.04.2009), URL: https://www.britannica.com/place/Pillars-of-Heracles (28.03.2025).

[34] GEMERT, Lia van u.a., „Wilhelmus. Anoniem, ca. 1570“, in: literatuurgeschiedenis.org, URL: https://www.literatuurgeschiedenis.org/teksten/wilhelmus (15.03.2025).

[35] Übersetzung v. Sabrina Jordt.

[36] SCHILLER, Friedrich, Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung, Carlsruhe, 1815. S. 9.

[37] Ebd., S. 9.

[38] Ebd., S. 9.

[39] Ebd., S. 10.

[40] Ebd., S. 31.

[41] Ebd., S. 10.

[42] Vgl. GEMERT, Lia van u.a., „Wilhelmus. Anoniem, ca. 1570“, in: literatuurgeschiedenis.org, URL: https://www.literatuurgeschiedenis.org/teksten/wilhelmus (15.03.2025).

[43] ROYAL HOUSE OF NETHERLANDS, „National anthem. Music, lyrics and customs“, in: royal-house.nl, URL: https://www.royal-house.nl/topics/national-anthem/music-lyrics-and-customs (15.03.2025).

[44] Ebd.

Picture of Sabrina Jordt (Autorin) & Saskia Vandenbussche (Betreuung)

Sabrina Jordt (Autorin) & Saskia Vandenbussche (Betreuung)

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