Der Benelux-Polizeivertrag. Ein Interview mit Herrn Dr. Jochen Stöger

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Ein mustergültiges Abkommen zur grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit. Ein Interview zwischen dem Belgienzentrum der Universität Paderborn und Dr. Jochen Stöger

Der neue „Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande über die polizeiliche Zusammenarbeit“, kurz Benelux-Polizeivertrag, ermöglicht seit seinem Inkrafttreten am 01. Oktober 2023 eine noch intensivere polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den drei beteiligten Vertragsparteien, die sich die Bewahrung der öffentlichen Sicherheit sowie die Prävention, Aufklärung und Ermittlung von Straftaten zum Ziel gesetzt haben. Damit setzen die Staaten der Benelux-Union weltweit ein einzigartiges Zeichen, denn in keiner anderen Union der Welt gibt es solch weitreichende Befugnisse auf fremdem Territorium.

Am 24. Juli 2024 hatte das Belgienzentrum der Universität Paderborn, vertreten durch die wissenschaftliche Hilfskraft Vincent Liechty, die besondere Gelegenheit, mit Herrn Dr. Jochen Stöger, Politikberater des Benelux-Generalsekretariats, ein Interview über die Genese, Merkmale, Ansprüche und insbesondere auch die internationale Pionierrolle dieses Vertrages durchzuführen.

Zur Person: Jochen Stöger wurde 1977 in Gouda geboren und studierte Geschichtswissenschaften an der Universität Utrecht. Im Jahr 2008 promovierte er bei Prof. Dr. Wilfried von Bredow im Fach Politikwissenschaften an der Philipps-Universität Marburg. Seine Dissertation „Krisen und Kriege: Deutschland und die Niederlande und die außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen der neuen Ära seit 1990“ gab über die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland und der Niederlande Aufschluss. Als Freelance Researcher hat Stöger u. a. mehrere Beiträge für DGAP-Jahrbücher verfasst. Er arbeitete für das Policy and Operations Evaluation Department (IOB) des niederländischen Außenministeriums in Den Haag, insb. in den Bereichen EU, Benelux und MENA-Region. Seit 2015 arbeitet Stöger für das Generalsekretariat der Benelux Union in Brüssel, wo er als Berater für u. a. grenzüberschreitende Kooperation der Polizeien der Benelux-Staaten und von Benelux mit Frankreich und NRW tätig ist. Er war von Anfang an bei dem Zustandekommen des neuen Benelux-Polizeivertrags von 2018 involviert. Seit 2023 ist Stöger Mitglied des Lenkungsausschusses eines multidisziplinäres Forschungsprojektes der „Maastricht University“ zum Thema „Crossborder Integrated Approach to Organized Crime“.

© Secrétariat Général de L’Union Benelux. Inkrafttreten des Vertrags 2023.

Genese und Entwicklung des Benelux-Polizeivertrages

VL: Der neue Benelux-Polizeivertrag ist nicht das erste Abkommen, welches die Staaten der Benelux-Union im Bereich Justiz und Polizeiarbeit verabschiedet haben. Bereits 1996 wurde das Senningen-Memorandum verabschiedet, auf Basis dessen 2004 der Vertrag über grenzüberschreitende Polizeieinsätze geschlossen wurde. Dieser musste nun aktualisiert werden – ein sicherlich intensiver und langer Prozess. Wie verlief der Prozess von der initialen Idee bis hin zum Vertragsschluss und Inkrafttreten?

JS: Das Ganze geht zurück auf ein bilaterales niederländisch-belgisches Polizeiabkommen aus dem Jahr 2000, das provisorisch zur gemeinsamen Organisation der Fußball-Europameisterschaft geschlossen worden war und der Polizei gewisse Möglichkeiten beim grenzüberschreitenden Auftreten einräumte. Dank dieser positiven Erfahrungen kam 2004 ein Polizeivertrag zwischen den drei Benelux-Ländern zustande, der grenzüberschreitendes Handeln, Nacheile von Schwerverbrechern sowie gemeinsame Kontrollen und Patrouillen ermöglichte.

Zur gleichen Zeit war jedoch noch teilweise unklar, welche Befugnisse Polizisten auf dem Hoheitsgebiet eines Benelux-Partners hatten. Darüber hinaus bestand der Wunsch nach mehr Möglichkeiten, sowohl im Bereich der Ordnungs- als auch der Kriminalpolizei. Gerade in Zeiten grenzüberschreitender Kriminalität ist dies kein überflüssiger Luxus. So entstand der Gedanke, den damaligen Vertrag auszubauen. Gerade die Polizisten selbst fragten vermehrt nach, wie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit effizienter gestaltet werden könnte. Diese Signale gelangten daraufhin auf die höchste politische Ebene, woraufhin die Innen- und Justizminister der Länder das Benelux-Generalsekretariat um eine Untersuchung baten, ob und wie der Polizeivertrag aktualisiert werden könnte. Es wurden Expertengremien gebildet, bestehend aus Vertretern der Polizei, Staatsanwaltschaft und den relevanten Ministerien, die gemeinsam einen Bericht verfassten, der 2016 präsentiert wurde und den offiziellen Startschuss für die Verhandlungen gab. Auf Basis dessen erarbeitete eine Gruppe von Vertragsjuristen den Vertrag, der im Sommer 2018 von den zuständigen Ministern hier in Brüssel unterzeichnet wurde.

Das Inkrafttreten erfolgte jedoch erst im Oktober 2023, da es sich um einen sehr weitreichenden Vertrag mit vielen neuen Ansätzen handelte, die zunächst von den zuständigen Behörden geprüft werden mussten. Beispielsweise mussten die Datenschutzbehörden kontrollieren, ob der grenzüberschreitende Informationsaustausch gegen europäische oder nationale Gesetze verstößt. Die Behörden gaben daher ihre Empfehlungen ab, auf deren Grundlage der Vertrag teilweise noch angepasst wurde. Und natürlich mussten alle Parlamente den Vertrag ratifizieren.

VL: Wie in vielen anderen der trilateralen Kooperationen der Benelux-Union ist ein hohes Maß an Vertrauen stets eine zentrale Voraussetzung. Welche Herausforderungen entwickelten sich während der Ausarbeitung des Vertrages, um dieses Vertrauen zu bewahren, aber gleichzeitig auch die Interessen oder ggf. Bedenken der einzelnen Vertragsparteien zu beachten?

JS: Natürlich kann ich nicht allzu sehr ins Detail gehen, was sich im Rahmen der Verhandlungen abgespielt hat. Aber es war definitiv auffällig, dass die Gespräche von Anfang bis Ende respektvoll und vertrauensvoll waren und dass es keine gravierenden Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten gab. Alle drei Partner verfolgten ganz klar die gleichen Ziele, nämlich die Schaffung neuer Möglichkeiten für unsere Polizeien. Dies baut auf einer jahrelangen vertrauensvollen Zusammenarbeit auf.

Nichtsdestotrotz mussten alle Beteiligten auch ihr eigenes nationales Recht berücksichtigen. Die Polizeien hätten verständlicherweise gerne so viele Möglichkeiten wie möglich, um ihre Arbeit bestmöglich auszuüben, aber die Aufgabe der Ministerien bestand darin, die richtige Balance zu finden zwischen dem Ausschöpfen von mehr Möglichkeiten für polizeiliche Zusammenarbeit, dem Respektieren der nationalen und europäischen Gesetze und letztlich auch der absoluten Bewahrung der Rechte der Bürger im Bereich des Datenschutzes.

Darüber hinaus waren, wie bei nahezu jeder Verhandlung, nicht immer alle einer Meinung. Manchmal wollte z. B. eine verhandelnde Delegation etwas weiter gehen als für die anderen wünschenswert war; jedoch ist das Gute bei der Benelux-Zusammenarbeit, dass sogar der kleinste gemeinsame Nenner bereits sehr hoch ist und zu zufriedenstellenden Ergebnissen führt. Außerdem können die Kooperationspartner einen Opt-out wählen. Das bedeutet, dass wenn zwei Länder etwas Neues umsetzen möchten, das dritte Land allerdings nicht, letzteres zwar den Segen erteilt, sich aber nicht an der Umsetzung beteiligen muss. Durch diese Möglichkeiten erreichen wir in unserer Zusammenarbeit „maßgeschneiderte“ Lösungen auf Basis von Harmonie.

Merkmale des Benelux-Polizeivertrages

VL: Die neuen Ergänzungen des Vertrages rotieren um zwei zentrale Aspekte: Zum einen die Möglichkeit des grenzüberschreitenden Auftretens und zum anderen eine Verbesserung des Informationsaustausches. Bezüglich der grenzüberschreitenden Fahndung: Welche Maßnahmen der Verfolgung von Straftätern sind nun im Vergleich zum vorherigen Vertrag möglich?

JS: Es gibt sehr viele Punkte zum grenzüberschreitenden Auftreten, weshalb ich in diesem Rahmen auf die bemerkenswertesten Aspekte eingehen werde:

  1. Erstens gibt es nun eine unbegrenzte grenzüberschreitende Nacheile, die sog. Hot Pursuit. Zwar gab es bereits auf der Grundlage des alten Vertrages und auch in der Schengen-Zone gewisse Möglichkeiten zwischen den Vertragsparteien für grenzüberschreitende Nacheile, jedoch legitimierten nur schwere Verbrechen die Verfolgung eines Verbrechers über die Grenze hinaus. Dank des neuen Polizeivertrages besagt die Regelung, dass alles, was national eine Nacheile rechtfertigt, diese auch grenzüberschreitend erlaubt. Dadurch haben wir ein einziges Benelux-Territorium für Nacheile geschaffen. Dabei wurde die Garantie eingebaut, dass der Gaststaat mittels der Kommunikation zwischen den Leitstellen stets das Recht hat, eine Nacheile nicht zu erlauben.
  2. Zweitens ermöglicht der Vertrag den grenzüberschreitenden Einsatz von Spezialeinheiten, welche in drei Szenarien eingesetzt werden können: zur vorhin beschriebenen grenzüberschreitenden Nacheile, zur Hilfeleistung auf Anfrage eines Benelux-Partners oder zur grenzüberschreitenden Intervention in einer akuten Krisensituation auf Eigeninitiative. Der Vertrag enthält zwar strenge Regeln für das Tragen von Waffen auf dem Gebiet der jeweils anderen Vertragsparteien, aber dank spezieller Vereinbarungen ist die notwendige Flexibilität gegeben.
  3. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten hinsichtlich der Begleitung von Personen. Dies kann die Begleitung von Personen im Rahmen des Einwanderungsgesetzes betreffen, aber auch den Transport von Häftlingen, die in einem anderen Benelux-Staat als Zeugen in einem Strafverfahren vernommen werden, oder das Geleit von V. I. P. s.
  4. Letztlich verfügen die Benelux-Länder dank des Vertrages ebenfalls über ein weltweites Netz von Verbindungsbeamten der Polizei, den sog. Liaison Officers. So kann z. B. ein niederländischer Verbindungsbeamter Belgien oder Luxemburg bei der Zusammenarbeit mit einem außereuropäischen Drittland helfen, in dem diese Länder selbst nicht durch einen Verbindungsbeamten vertreten sind und umgekehrt. Belgien ist beispielsweise sehr gut in Zentralafrika aufgestellt und die Niederlande in Südostasien, wodurch die Länder gegenseitig internationale Rechtshilfe ersuchen können.

VL: Bezüglich des Informationsaustauschs: Auf welche Datenbanken haben die Einsatzkräfte Zugriff und über welche Wege / Stationen funktioniert die Kommunikation, um wertvolle Zeit sparen und schneller eingreifen zu können?

JS: Der grenzüberschreitende Informationsaustausch ist juristisch oft eine komplexe Materie, jedoch ist er für die Polizei in unseren Ländern von unermesslicher Bedeutung, insbesondere im Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Leider sind die dahinterstehenden Banden oft international vernetzt, auch in den Benelux-Ländern. Von daher ist es bedeutsam, schnell über die richtigen Informationen verfügen zu können und diese auch juristisch verwenden zu dürfen. Den Verhandlungspartnern ist es gelungen, eine Vielzahl neuer Möglichkeiten in diesem Bereich zu schaffen:

  1. Ein Beispiel dafür ist die Abfrage von polizeilichen und nicht-polizeilichen Datenbanken, z. B. zur Abfrage der Identität, des Wohnsitzes oder der Vorstrafen einer verdächtigen Person bei gemischten Streifen und gemeinsamen Kontrollen.
  2. Darüber hinaus ist es nun möglich, die polizeilichen Datenbanken des jeweils anderen Staates in gemeinsamen Polizeidienststellen abzurufen. Von diesen Polizeidienststellen gibt es bis dato zwar nur eine, jedoch ist die entsprechende Regelung im Polizeivertrag bewusst so geschrieben worden, dass wenn in Zukunft mehr gemeinsame Polizeidienststellen geschaffen werden, der Abruf auch dort möglich sein wird.
  3. Eine weitere Neuheit besteht im Austausch von Referenzdaten für die automatische Nummernschilderkennung mittels sog. automatic number-plate recognition (ANPR) Kameras. Der Vertrag ermöglicht hier konkret den Austausch von personenbezogenen Daten in Form von Referenzlisten, also Listen von Nummernschildern gesuchter Fahrzeuge, die möglicherweise mit gesuchten Personen in Verbindung stehen. Dies ist ein wichtiges Instrument für eine Vielzahl von polizeilichen Aufgaben, die von der Terrorismusbekämpfung bis hin zu gezielten informationsgestützten Maßnahmen zur Bekämpfung von Drogenschmuggeln und Diebesbanden reichen.
  4. Ebenso erlaubt der Polizeivertrag den grenzüberschreitenden Informationsaustausch im Rahmen des verwaltungsrechtlichen Vorgehens bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Immer mehr wächst das Bewusstsein dafür, dass organisierte Kriminalität am besten gemeinsam mit Partnern bekämpft werden kann, z. B. mit Steuerbehörden, Verwaltungen, Inspektionsdiensten oder Zollstellen. Dabei verläuft die Kommunikation über verschiedene Stationen: Wenn es der Polizei des einen Landes ausdrücklich erlaubt ist, eine gewisse Information grenzüberschreitend zu teilen, darf die andere Polizei diese Information z. B. an eine städtische Behörde weiterleiten, die daraufhin die Erlaubnis hat, diese Informationen für verwaltungsrechtliche Maßnahmen zu verwenden.
  5. Die Polizeien werden in Zukunft auch direkten Zugriff auf polizeiliche Datenbanken des jeweils anderen Landes auf Hit/No-Hit-Basis erhalten, d. h. die Nutzung einer Datenbank mit den Antwortoptionen „Hit/Treffer“ oder „No Hit/kein Treffer“ – z. B. zur Beantwortung der Frage, ob eine Person, ein Fahrzeug oder Objekt der Polizei des anderen Landes bekannt ist oder nicht.
  6. Letztlich wird es in Zukunft ebenfalls einen direkten polizeilichen Zugriff auf Datenbanken geben, die nicht-polizeilich sind, aber für die Polizei zugänglich sind, wie z. B. Melde-, Kennzeichen- und Bevölkerungsregister.

Dank all dieser Aspekte können wir gemeinsam an einem integrierten Vorgehen arbeiten und für die genannten Zwecke Informationen austauschen. Der Grundgedanke dieser Änderungen ist, schneller und effizienter Informationen zu erhalten und dadurch Fahndungen sowie Ermittlungen qualitativ hochwertiger zu gestalten und wichtige Zeit zu sparen. Denn je mehr die Polizisten schnell autonom umsetzen können, desto effizienter und besser wird ihre Arbeit.

Ansprüche des Benelux-Polizeivertrages

VL: Durch die zuvor genannten Merkmale stellt der Benelux-Polizeivertrag hohe Ansprüche an sich selbst, immerhin sollen durch ihn organisierte grenzüberschreitende Kriminalität eingedämmt werden, da es sich hierbei in vielen Fällen um grenzüberschreitende Probleme handelt. Inwiefern kann die erfolgreiche Umsetzung dieses Eigenanspruches gemessen werden? Gibt es Bewertungskriterien oder Erfolgsindikatoren, anhand derer Einsätze bewertet werden können?

JS: Das ist eine sehr relevante Frage, denn es ist schön und gut, auf dem Papier einen großartigen Vertrag mit vielen neuen Möglichkeiten erarbeitet zu haben, aber worum es im Endeffekt geht, ist, dass unsere Polizeien besser, schneller und effizienter arbeiten können und dass dadurch mehr Verbrecher gefasst sowie Straftaten präventiv vorgebeugt werden.

Der erste Schritt besteht darin, dass alle betroffenen Polizisten überhaupt wissen, dass sie neue Möglichkeiten haben. Dafür gibt es sog. Train the Trainer Ausbildungen, in denen neuausgebildete Ausbilder ihre eigenen Leute über die Strukturen der nationalen Polizeiakademien ausbilden. Wir haben eine Benelux-Ausbildung namens „Zonder Zorgen De Grens Over“ (zu Deutsch: „Ohne Sorgen die Grenzen überschreiten“), innerhalb derer spezifische Teilausbildungen für den Polizeivertrag ausgearbeitet wurden, z. B. für die Eisenbahn-, Verkehrs- und Kriminalpolizei sowie für die Leitstellen. Da für den einzelnen Polizisten nicht alles relevant ist, kann er sich nun über das für ihn Wichtige ausbilden lassen.

Zusätzlich haben wir eine Benelux-Polizei-App entwickelt, über die die Polizisten auf benutzerfreundliche Art und Weise schnell Informationen erhalten können. Meistens handelt es sich um Fragen im Ja-Nein-Format, da die Einsatzkräfte im Einsatz nicht erst lange juristische Abhandlungen nachlesen können: Darf ich die Grenze überqueren? Darf ich ein Fahrzeug stoppen? Darf ich die Identität einer Person erfragen? Etc. Die niederländische Polizei nutzt überdies Micro Learnings, also kurze Erklärvideos, mittels derer sich die Polizisten informieren können.

Dennoch handelt es sich um einen Prozess, der eine Weile dauert, bis alle über das für sie Relevante Bescheid wissen. Niemand erwartet von den Polizisten, juristische Spezialisten zu werden, aber sie müssen dennoch wissen, über welche Befugnisse sie auf dem Hoheitsgebiet des anderen Landes verfügen. Nun, wie kann der Erfolg gemessen werden?

Im Polizeivertrag sind bereits für bestimmte Aspekte Evaluationen geplant, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden werden (z. B. nach zwei oder drei Jahren seit Inkrafttreten des Vertrages). Momentan werden daher Methoden und Pläne entwickelt, um die entsprechenden Elemente analysieren zu können. Grundsätzlich müssen bei grenzüberschreitenden Interventionen Berichte verfasst werden, anhand derer nachverfolgt werden kann, ob mehr Zusammenarbeit stattfindet oder nicht. Und auch bei dem Informationsaustausch hat man sich Systeme zur Auswertung überlegt, aber es handelt sich dabei teilweise noch um Work in Progress.

Zudem erhalten wir ständiges Feedback aus den drei Ländern dank der Kommunikation mit Verbindungspolizisten, Arbeitsgruppen der verschiedenen Polizeien und Leistellen sowie strategischen und regionalen (Grenz-)Polizeitreffen. Wir erhoffen uns, durch dieses hohe Maß an Rückmeldung über die verschiedenen Gremien sowie die Systeme, die die Polizeien national entwickeln und daraufhin mit den Partnern teilen, im Laufe der Zeit den positiven Effekt des Polizeivertrages messen zu können.

VL: Wer würde im Worst-Case-Szenario die Verantwortung für eine gescheiterte Intervention übernehmen, bei der ein Einsatzkommando auf fremdem Territorium agiert? Die Vertragspartei, auf dessen Gebiet der Vorfall stattgefunden hat, oder der Staat, dessen Polizisten im anderen Land tätig waren?

JS: Dies ist klar im Vertrag geregelt, und zwar konkret in den Artikeln 48 über die zivilrechtliche Haftung und 49 über die strafrechtliche Haftung. Diese Artikel sehen mit Ausnahme von Artikel 18 über den Beistand in der Form von Personal und Material vor, dass der Sendestaat entsprechend dem Recht des Gaststaates für die Schäden, die seine Beamten während ihres Einsatzes oder ihrer Anwesenheit verursacht haben, haftet.

Wenn die Beamten des Sendestaates im Sinne von Artikel 18 allerdings auf Anfrage intervenieren, haftet der Gaststaat entsprechend seinem nationalen Recht für die verursachten Schäden. Das bedeutet kurzum, dass es davon abhängt, ob jemand gebeten wurde, einzugreifen, oder ob das Land selbst entschieden hat, Einsatzkräfte zu schicken.

Der Benelux-Polizeivertrag und die Pionierrole der Benelux-Union

VL: Das bereits erwähnte Maß an Vertrauen, auf Basis dessen die Benelux-Union weltweit einzigartige Projekte und Kooperationen umsetzt, hat ihr den berechtigten Ruf einer internationalen Pionierin verschafft. Betrachten Sie den Benelux-Polizeivertrag ebenfalls als einen Erfolg, der sich in diese Vorreiterposition der Benelux-Staaten einreiht und diese nun auch auf polizeilicher Ebene ausgeweitet worden ist?

JS: Absolut! Die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den drei Staaten war bereits ein gutes Beispiel dafür, wie gut die Benelux funktionieren kann. Mit diesem Polizeivertrag gehen wir nun noch einen großen Schritt weiter. Auch wenn es unbescheiden klingt, ist es tatsächlich der beste Polizeivertrag in der EU und meines Erachtens auch weltweit. Zumindest im Bereich der Sicherheitszusammenarbeit sehe ich den Benelux-Polizeivertrag daher seit den Schengener Abkommen als unseren größten Erfolg an.

Beispielsweise besuchte der neue niederländische Premierminister in diesem Jahr während seiner ersten Dienstreisen außerhalb der Niederlande den belgischen und den luxemburgischen Premierminister. Im Rahmen seiner Berichterstattung wurde über die sozialen Medien neben der Feier im Rahmen des 80. Jubiläums der Benelux-Zusammenarbeit auch die gute Benelux-Polizei-Zusammenarbeit erwähnt und der neue Polizeivertrag als Meilenstein eingeordnet. Darüber hinaus gab er an, dass dieser Vertrag exemplarisch für die erfolgreiche und vertrauensvolle Benelux-Zusammenarbeit sei und dass die Polizisten dank dieses Vertrages grenzüberschreitend noch besser zusammenarbeiten könnten. Die Tatsache, dass der Polizeivertrag so prominent kommuniziert worden ist, macht uns stolz und unterstreicht einmal mehr den Stellenwert, den dieser Vertrag für uns hat.

VL: Man kann annehmen, dass sich andere Staaten, die den Benelux-Polizeivertrag potenziell in eigenen überstaatlichen Arrangements umsetzen möchten, Sorgen um die eigene Souveränität bzw. Unabhängigkeit machen, immerhin handelt es sich um weitreichende Befugnisse auf fremdem Territorium. Wie gelingt es den Vertragspartnern, auch im Kontext des Polizeivertrages, diese Sorge zu überwinden und innovative Kooperation zu ermöglichen?

JS: In der Benelux-Union liegt der besondere Vorteil vor, dass wir eine jahrelange Zusammenarbeit haben, auf der viel Vertrauen aufgebaut wurde. Es handelt sich mittlerweile um eine Tradition der Zusammenarbeit in verschiedenen Fachgebieten, auch im Bereich der Sicherheit oder in Bezug auf Krisenzentren. Auch wenn wir von der Oberfläche her keine großen Länder sind, haben wir riesige Häfen u. a. in Rotterdam, Antwerpen und Amsterdam, was zwar große Vorteile mit sich bringt, aber leider auch große Probleme mit Drogenimporten. Aufgrund der gemeinsamen Konfrontation mit diesen Problemen ist es sowohl logisch als auch notwendig, die Kräfte zu bündeln und zusammen Lösungsansätze zu suchen.

Nun zählen wir glücklicherweise auf den Vorteil des neuen Polizeivertrages, dank dessen wir unsere eigenen juristischen Möglichkeiten haben. Auch im Zusammenhang mit EU-Gesetzen haben wir eine Sonderposition, wodurch wir mit unserer Integration weiter fortfahren können als andere Staaten. Mit der zusätzlichen Option eines Opt-outs schaffen wir Schritt für Schritt die Rahmenbedingungen, um all diese Anliegen umzusetzen, ohne dass die Länder Angst haben, Kontrolle zu verlieren. Oft ist tatsächlich das Gegenteil der Fall: Man hat keine Angst, Souveränität einzubüßen, – denn es werden immer die notwendigen Garantien eingebaut und man vertraut auf die Proportionalität des grenzüberschreitenden Handelns sowie auf die Professionalität aller Beteiligten – sondern unsere Länder gewinnen an (internationalen) Handlungsmöglichkeiten.

VL: Wie kann diese positive Botschaft international, z. B. auch in der Europäischen Union, propagiert werden, um anderen Staaten zu animieren, ähnliches zu bewirken?

JS: Wir hoffen natürlich, dass der Polizeivertrag ein gutes Beispiel, eine Quelle der Inspiration und vielleicht auch ein Vorbild für andere EU-Länder sein wird. Es wäre natürlich schön, wenn die Europäische Union diesen Vertrag übernehmen würde, aber das ist im Moment noch etwas zu ambitioniert, da die Benelux-Staaten sehr weit gehen in ihrer Zusammenarbeit. Daher ist dieses Szenario kurzfristig noch nicht realistisch, aber vieles ist dennoch bereits jetzt möglich: Zwei Staaten oder Gruppen von Ländern könnten Teile des Vertrages als Grundlage für eigene Vorhaben nehmen und modifizieren – und vielleicht auch für die ganze EU wären bestimmte Teile umsetzbar.

Andere (regionale) Zusammenarbeitsgruppen wie die nordischen Länder, die sog. Nordics, oder auch die Länder des Baltikums, die sog. Baltics, haben bereits Interesse signalisiert.  Das Interesse ist also definitiv gegeben.Des Weiteren war Belgien dieses Jahr Vorsitzender der Europäischen Union und hat dort die Gelegenheit genutzt, um die Aufmerksamkeit auf die Benelux-Zusammenarbeit und in diesem Zusammenhang auch auf den Polizeivertrag zu lenken. Dies war zweifelsohne interessant für die anderen EU-Mitgliedstaaten. Zudem organisiert das Generalsekretariat der Benelux-Union mit unterschiedlichen Partnern sowie Ministerien, Universitäten, wissenschaftlichen Instituten und ständigen Vertretungen unserer Staaten bei der EU eine Reihe von Veranstaltungen, um den Polizeivertrag zu propagieren.

Abschließend möchte ich noch festhalten, dass auch dieses Interview dazu beiträgt, dass wir Informationen über diesen Vertrag teilen. Denn dies sorgt doch letztendlich dafür, dass all die neuen Möglichkeiten bekannt werden; Je mehr Staaten ähnliches bewirken, desto mehr können sich andere Länder die Erfolge als Beispiel nehmen.

Picture of Vincent Liechty (Autor) & Sabine Schmitz (Betreuung)

Vincent Liechty (Autor) & Sabine Schmitz (Betreuung)

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