Der kostenlose Luxemburger Nahverkehr

Inhaltsverzeichnis

 Ein richtungsweisendes Modell?

Am 01.03.2020 begann auf den Luxemburger Straßen ein Experiment mit einer hypothetischen Ausdehnung von 2586 km2 [1]: Die Rede ist von der Einführung eines kostenlosen Nahverkehrs, welcher Busse und Bahnen für Einwohner*innen und Pendler*innen erschwinglich zu machen intendiert.[2] Dabei handelt es sich um den ersten Schritt einer systematischen Mobilitätspolitik, die, glaubt man medialen Berichten, in mehreren Schritten die Abhängigkeit vom Auto zu verringern versucht.[3] Welche Ziele verfolgt die Luxemburger Regierung mit diesem Vorhaben und was waren bislang messbare Ergebnisse? Im folgenden Beitrag stehen Ursachen, Konsequenzen und künftige Schritte der Mobilitätsagenda im Vordergrund.

© Saskia Vandenbussche. Zug im Bahnhof Luxemburg-Pfaffenthal

Gründe für eine Mobilitätsagenda

Luxemburg verzeichnet seit den 1990er-Jahren einen Bevölkerungsanstieg, welcher mit sprunghaft wachsenden Immigrationszahlen korreliert.[4] Ein starkes Plus der Beschäftigungsrate, eine auch im europäischen Vergleich hohe Lebenserwartung (im Durchschnitt 84,3 Jahre bei Frauen und 79,5 Jahre bei Männern) sowie eine stets steigende Berufstätigkeit von Frauen wirken diesbezüglich als kontinuierliche Pull-Faktoren.[5] Die Folge: Luxemburg zieht Menschen aus vielen Teilen der Welt an.

Aus diesen Gründen verfügen Luxemburger Haushalte über vergleichsweise viele Automobile: François Bausch, grüner Verkehrsminister, nennt in einem deutschsprachigen Zeitungsinterview überfüllte Straßen als Konsequenz und[6] erklärt weiter: „,Ich sage immer: Die Deutschen bauen die Autos, die Luxemburger kaufen sie.‘“[7] In der Tat landet Luxemburg regelmäßig weit vorn in der Liste der Motorisierungsdichte pro Einwohnerzahl: Stand 2023 waren laut dem Statistischen Bundesamt 19 % aller PKW der Luxemburger im Durchschnitt jünger als 2 Jahre alt, während in Deutschland die Quote von Neuwagen 2023 14,8 % betrug.[8]

Deshalb schloss die Luxemburger Regierung, dass ein nationaler Mobilitätsplan notwendig sei. Nach François Bausch spielten zudem soziale Punkte bei der Entscheidung eine Rolle: Die Verkehrsmittel sollten für alle zugänglich gemacht werden, auch für jene mit geringerem Einkommen.[9] Haben sich also die kostenfreien Busse und Bahnen als Modelllösung bislang bewährt?

© Saskia Vandenbussche. Straßenbahn in Luxemburg-Kirchberg

Auswirkungen des Gratisverkehrs

Zahlen und Studien, die den Erfolg des Experiments messen, stammen zumeist von der Regierung bzw. dem Verkehrswesen. In öffentlichen Verkehrsobjekten werden mittlerweile Zähler eingebaut, welche die Anzahl an Verkehrsteilnehmenden vermessen und so Aufschluss über eine ggf. erhöhte Nutzung des ÖPNV geben. Ein zentrales Problem bei der Bewertung dieses Verkehrsexperiments ist allerdings die Corona-Pandemie: Gemäß François Bausch habe das Ticket durchaus zu einem Anstieg an Gästen im öffentlichen Nahverkehr geführt, aber er verweist zugleich auf den Einbruch der Pandemie: „In den ersten paar Wochen, vor dem Corona-Einbruch, gingen die Zahlen schnell von etwa 18.000 täglichen Fahrgästen auf 32.000 rauf. Jetzt [2022, Anm.] sind wir bei Spitzen von bis zu 75.000 Menschen pro Tag“ […]. Der Luxemburger Eisenbahndirektor Wengler wendet zudem ein, dass von diesen Zielen nicht automatisch auf einen Effekt des Gratisverkehrs geschlossen werden kann: „In den vergangenen 15 Jahren haben wir bei der luxemburgischen Eisenbahn fast 80 Prozent zugelegt“ […]. Corona, konstant steigende Passagierzahlen und Pendler: all diese Gegebenheiten haben also die Erhebungen möglicherweise verzerrt und begründen einen weiteren Evaluationsbedarf.

Ob zudem die erhofften sozialen Effekte eingetreten sind, bleibt diskutabel: Entgegen der Aussage des Luxemburger Verkehrsministers wurden kritische Stimmen laut, welche die Wirkung des Projekts als Vehikel der sozialen Gerechtigkeit bezweifeln, wie jene Aussage aus einem Spiegel-Artikel: „Eine Studie des nationalen Statistik-Instituts STATEC  ergab 2016, dass die Bewohner Luxemburgs fast 80 Prozent ihrer Strecken mit dem Auto absolvieren. Und: Dass auch Haushalte mit einem Netto-Monatseinkommen von 1850 Euro oder weniger im Schnitt jedes Jahr über 2600 Euro für Kauf und Instandhaltung eines Autos ausgeben.“[10] Die Frage nach den sozialen Auswirkungen bleibt folglich ebenfalls offen.

Nichtsdestoweniger zeigten sich auf einer weiteren Ebene unmittelbare Effekte des kostenlosen ÖPNV: ein Anstieg der Aufmerksamkeit seitens der internationalen Presse, welcher ökonomische Konsequenzen haben könnte. So berichtete z.B. die New York Times von dem laufenden Experiment auf offenen Straßen.[11] Der Gratisverkehr gilt in Luxemburg obendrein als ein politisches Prestigeprojekt; dies erhöht gewiss die Motivation, die vorhandenen Maßnahmen in den kommenden Jahren um zusätzliche Schritte zu ergänzen.

Die „multimodale Strategie“: die Infrastruktur als Uhrwerk

Bei der künftige Planung geht es nämlich um weit mehr als um Prestige. Im Jahr 2018 wurde vom Ministerium für Mobilität und öffentliche Arbeiten eine „multimodale Strategie“ beschlossen, d.h. ein mehrstufiges System an Maßnahmen, die im Abstand von mehreren Jahren angewendet werden.[12]

© Saskia Vandenbussche. City Shopping Bus in Luxemburg

Der Begriff „Multimodal“ verweist laut Ministerium auf die akribische Taktung aller Verkehrsmittel.[13] Berücksichtigt wird dabei das Ensemble aller dem Menschen zur Verfügung stehenden Fortbewegungsmittel: Vom Autofahrer über Bus- und Bahnreisende bis hin zu Radfahrern und selbst Fußgängern werden alle Partizipierenden in einer umfassenden Kalkulation einbezogen.[14] Alles soll nach dem Willen der Regierung so durchgetaktet werden, dass sich stets möglichst kurze Fahrtzeiten ergeben, sei es vom Auto zum Bus, vom Bus zur Straßenbahn, von der Straßenbahn in den Zug.[15] Die einzelnen Verkehrsmittel funktionieren in dieser Vision des Luxemburger Verkehrsministeriums also wie perfekt ineinandergreifende Zahnräder, die im Zusammenspiel ein reibungsloses Uhrwerk ergeben. Dies könnte in der Konsequenz die Menge an Autos auf den Straßen tatsächlich reduzieren, denn kein Fußgänger, welcher durch geschickt geplante Wege schnellstmöglichst seinen Arbeitsort erreicht, wird den Wunsch verspüren, beim nächsten Mal den Wagen zu nehmen und im Stau zu stehen.[16]

So wird in einer Informations- und Werbebroschüre des Ministeriums wiederholt auf den Mehrwert für den Menschen hingewiesen.[17] Dadurch könnten sich in der Konsequenz zusätzliche positive Effekte ergeben: ein Anstieg der Lebensqualität, eine bessere Vereinbarung von Familie und Beruf, sowie ein deutliches Absenken der Automobildichte auf den Straßen mit all den bekannten ökologischen Auswirkungen – und zwar deshalb, weil die Bürger*innen die Vorteile einer perfekt getakteten Infrastruktur zu schätzen wissen.

Ein laufendes Experiment auf offenen Straßen

Die Luxemburger Verkehrsagenda stellt demnach eine mittelbare Strategie zur Reduktion der Autobomobildichte und zur Steigerung der Attraktivität des ÖPNV dar und könnte geeignet sein, Umwelt und Menschen gleichermaßen zu entlasten. Als Vorbild für weitere Länder fungiert diese Strategie jedoch bei all den genannten Vorteilen nur bedingt: Eine deutliche Vergrößerung der Fläche wie z.B. im Falle Deutschlands verunmöglicht eine 1-zu-1-Adaption der Planungen. Bezogen auf kleinere Gebiete aber, wie z.B. einzelne Städte oder Regionen, scheint dieses Konzept ein Modell zu sein, das als Vorbild für weitere verkehrspolitische Maßnahmen fungieren könnte.

Bleibt in der Folge zu hoffen, dass die Rechnung der Luxemburger Politiker aufgeht. Interessant bleibt die Frage, ob sich durch eine Optimierung der Infrastruktur tatsächlich jene ökologischen, ökonomischen und gesundheitlichen Vorteile ergeben, die für eine nachhaltige Zukunft unumstößlich sind. Dies hängt letztlich auch vom Willen der Luxemburger Bevölkerung ab, sich auf andere Mobilitätsmöglichkeiten einzulassen. Wie man es also dreht und wendet: Dieses Experiment ist und bleibt einen Versuch wert.

Quellen

Großherzogtum Luxemburg: Alles Wissenswerte über das Herzogtum Luxemburg. (Informationsbroschüre.) URL: https://sip.gouvernement.lu/dam-assets/publications/brochure-livre/minist-etat/sip/brochure/Tout_savoir_Luxembourg/Tout_savoir-DE.pdf [gesehen am 17.01.2025].

Die Luxemburger Regierung: „PNM 2035 – Nationaler Mobilitätsplan.“ Auf: gouvernement.lu, URL: https://gouvernement.lu/de/dossiers/2022/pnm2035.html [Gesehen am 17.01.2025].

Matthias Kirsch: „Abgefahren! Gratis-ÖPNV in Luxemburg.“ Auf: Spiegel.de, URL: https://www.spiegel.de/auto/luxemburg-und-der-gratis-oepnv-es-hapert-mit-dem-vorzeigeprojekt-a-2f8d9a0f-6b32-4493-82fe-2d5dad51e9bf. [gesehen am 17.01.2025].

Lukas Kissel: „Flatrate für immer.“ Auf: Zeit online, URL: https://www.zeit.de/mobilitaet/2022-06/luxemburg-nahverkehr-kostenlos-oeffentliche-verkehrsmittel/komplettansicht [gesehen am 17.01.2025].

Ministerium für Mobilität und öffentliche Arbeiten: „PNM 2035 – Nationaler Mobilitätsplan.“ (PDF-Broschüre zum Download). Auf: transports.public.lu, URL: https://transports.public.lu/fr/publications/strategie/pnm-2035-brochure/pnm-2035-brochure-de.html [gesehen am 17.01.2025].

Statistisches Bundesamt: „Europa: Dominanz des Autos ungebrochen.“ URL: https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Verkehr/Auto.html. [gesehen am 17.01.2025].

Bilder: © Saskia Vandenbussche, Belz. Zug im Bahnhof Luxemburg-Pfaffenthal; © Saskia Vandenbussche, Belz. Straßenbahn in Luxemburg-Kirchberg; © Saskia Vandenbussche, Belz. City Shopping Bus in Luxemburg; © Saskia Vandenbussche, Belz. Funiculaire in Luxemburg-Pfaffenthal.

[1] Vgl. Großherzogtum Luxemburg: Alles Wissenswerte über das Herzogtum Luxemburg. (Informationsbroschüre.) URL: https://sip.gouvernement.lu/dam-assets/publications/brochure-livre/minist-etat/sip/brochure/Tout_savoir_Luxembourg/Tout_savoir-DE.pdf [gesehen am 17.01.2025].

[2] Vgl. Lukas Kissel: „Flatrate für immer.“ Auf: Zeit online, URL: https://www.zeit.de/mobilitaet/2022-06/luxemburg-nahverkehr-kostenlos-oeffentliche-verkehrsmittel/komplettansicht [gesehen am 17.01.2025].

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. Großherzogtum Luxemburg: Alles Wissenswerte über das Herzogtum Luxemburg. (Informationsbroschüre.) URL: https://sip.gouvernement.lu/dam-assets/publications/brochure-livre/minist-etat/sip/brochure/Tout_savoir_Luxembourg/Tout_savoir-DE.pdf [gesehen am 17.01.2025].

[5] Vgl. ebd.

[6] Vgl. Lukas Kissel: „Flatrate für immer.“ Auf: Zeit online, URL: https://www.zeit.de/mobilitaet/2022-06/luxemburg-nahverkehr-kostenlos-oeffentliche-verkehrsmittel/komplettansicht [gesehen am 17.01.2025].

[7] Ebd.

[8] Vgl. Statistisches Bundesamt: „Europa: Dominanz des Autos ungebrochen.“ URL: https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Verkehr/Auto.html. [gesehen am 17.01.2025].

[9] Vgl. Lukas Kissel: „Flatrate für immer.“ Auf: Zeit online, URL: https://www.zeit.de/mobilitaet/2022-06/luxemburg-nahverkehr-kostenlos-oeffentliche-verkehrsmittel/komplettansicht [gesehen am 17.01.2025].

[10] Matthias Kirsch: „Abgefahren! Gratis-ÖPNV in Luxemburg.“ Auf: Spiegel.de, URL: https://www.spiegel.de/auto/luxemburg-und-der-gratis-oepnv-es-hapert-mit-dem-vorzeigeprojekt-a-2f8d9a0f-6b32-4493-82fe-2d5dad51e9bf. [gesehen am 17.01.2025].

[11] Vgl. ebd.

[12] Vgl. die Luxemburger Regierung: „PNM 2035 – Nationaler Mobilitätsplan.“ Auf: gouvernement.lu, URL: https://gouvernement.lu/de/dossiers/2022/pnm2035.html [Gesehen am 17.01.2025].

[13] Vgl. Ministerium für Mobilität und öffentliche Arbeiten: „PNM 2035 – Nationaler Mobilitätsplan.“ (PDF-Broschüre zum Download). Auf: transports.public.lu, URL: https://transports.public.lu/fr/publications/strategie/pnm-2035-brochure/pnm-2035-brochure-de.html [gesehen am 17.01.2025].

[14] Vgl. ebd.

[15] Vgl. ebd.

[16] Vgl. ebd.

[17] Vgl. ebd.

Picture of Sabrina Jordt (Autorin) & Saskia Vandenbussche (Betreuung)

Sabrina Jordt (Autorin) & Saskia Vandenbussche (Betreuung)

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